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Das POLITICO-Briefing zu den wichtigsten Ereignissen des Tages in Berlin.
von HANS VON DER BURCHARD
mit JOHANNA SAHLBERG
Schicken Sie uns Tipps hier | X @vonderburchard | Das Playbook anhören oder online lesen
Moin, hier schreibt Hans von der Burchard. Noch drei Tage bis zur Wahl in Sachsen und Thüringen; das politische Erdbeben liegt schon in der Luft. Um den AfD-Durchmarsch auszubremsen, hängt sich die demokratische Mitte voll rein. Und auch Björn Höcke, der sich gestern aus „gesundheitlichen Gründen“ abgemeldet hat, will heute wieder dabei sein.
AMPEL WILL DURCHGREIFEN: Während die Abschiebungen nur zögerlich vorankommen, geht die Regierung an die Anreize für Asylsuchende. Olaf Scholz greift dabei nicht nur das Angebot von Friedrich Merz zur Zusammenarbeit, sondern auch dessen Vorschlag zur konsequenten Umsetzung der Dublin-Regeln auf.
Zurück ins EU-Einreiseland: Flüchtlingen, die über andere Staaten wie Griechenland und Italien eingereist sind, sich dann aber nach Deutschland weitergemogelt haben, könnten die Leistungen massiv gekürzt werden.
Zumindest, wenn es nach Christian Lindner geht: „Bei denjenigen, die als Dublin-Flüchtlinge ausreisen müssen, darf es null Euro nur noch vom deutschen Steuerzahler geben. Der Magnetismus des deutschen Sozialstaates muss beendet werden“, sagte der Finanzminister bei Maischberger.
Nach Solingen scheinen somit Änderungen möglich, die lange als unmöglich galten. Es solle nur noch die Minimal-Versorgung aus Schlafplatz, Nahrung und Drogerie-Artikeln geben, wie Bild zuerst berichtete. Nächste Woche will Nancy Faeser zum Asyl-Gipfel laden: Auch die Abschiebe-Hürden sollen gesenkt werden; ein Waffen-Einsatz wäre laut Bild ausreichend.
Es ist die Migrations-Zeitenwende: Sie geht zu Lasten der EU-Partner an den Außengrenzen, die mit dem Problem der ankommenden Migranten allein gelassen werden. Unter den neuen EU-Asylregeln soll es ab 2026 immerhin eine solidarische Verteilung von Schutzbedürftigen in Länder wie Deutschland geben.
Ampel will sich nicht spalten lassen: Merz war mit seinem Angebot demonstrativ auf die SPD zugegangen, doch die Regierung geht einheitlich in die Gespräche: Robert Habeck und Marco Buschmann sind mit dabei. Von Unions-Seite kommt Thorsten Frei, von Länder-Seite Boris Rhein (CDU) und Stephan Weil (SPD), der aktuelle und ehemalige MPK-Vorsitzende.
AUCH MICHAEL KRETSCHMER POCHT AUF DUBLIN: Die Asylanträge in Deutschland „müssen runter. Nicht 300.000 Flüchtlinge wie vergangenes Jahr, sondern vielleicht 30.000, aber das dann für einige Jahre“, so der sächsische CDU-Ministerpräsident im Playbook Podcast mit Gordon Repinski.
Abschiebung nicht nur für Straftäter: In Afghanistan und Syrien gebe es „auch Regionen, die sicher sind“, so Kretschmer. „Natürlich muss das möglich sein“, allgemein dorthin abschieben. „Wenn es nicht möglich ist, dass man Leute zurückführt, die keinen Anspruch auf Asyl haben, dann implodiert das ganze System.“
KRITIK AN FRIEDRICH MERZ: Mit seinem Vorschlag, bei Bedarf eine „nationale Notlage“ auszurufen und damit das EU-Recht in Asylfragen außer Kraft zu setzen, hat der CDU-Vorsitzende in Europa für Unruhe gesorgt. Dabei ist Merz’ Vorschlag rechtlich kaum umsetzbar, wie Prof. Dr. Franz Mayer von der Universität Bielefeld analysiert.
Merz will einen EU-Artikel zur „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und dem Schutz der inneren Sicherheit“ nutzen, um im Zweifel auch gegen EU-Recht an der Grenze beliebig abweisen zu können. Doch der Paragraph wurde noch nie erfolgreich angewendet: Versuche von Polen, Ungarn und Tschechien sind beim EU-Gerichtshof gescheitert.
Auch Deutschland hätte kaum Aussicht auf Erfolg: „So fürchterlich der Anschlag von Solingen ist: Dass momentan die öffentliche Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit in Deutschland zusammenbricht, lässt sich kaum behaupten“, sagt mir der Europarechtler.
Er warnt: „Der Vorstoß von Merz scheint also nicht wirklich zu Ende gedacht und nur oberflächlich europa- und verfassungsrechtlich geprüft.“ Dies sei jedoch „für Deutschland hochgefährlich, weil dem Beispiel dann andere Mitgliedstaaten in anderen Kontexten folgen werden“.
Kritik auch von Habeck: „Das ist nicht Problemlösung, das ist unverantwortlich“, sagte der Vizekanzler bei einer Wahlkampfveranstaltung in Leipzig. „Nun weiß ich nicht, ob es Unwissen oder vielleicht auch fehlende europäische oder Regierungserfahrung ist oder ob es der Versuch ist, einfach mal einen rauszuhauen, um mal einen rauszuhauen.“
Grüne Sicherheitspolitik: In einem Positionspapier fordern Konstantin von Notz und Irene Mihalic ebenfalls eine „Zeitenwende“, berichtet Peter Wilke. Sie wollen Abschiebungen „entschlossen“ durchführen, mobile Binnengrenzkontrollen einführen, verdeckte Ermittlungen in sozialen Medien ermöglichen und (natürlich) ein Sondervermögen zur inneren Sicherheit.
TERMINKALENDER LEER: Auf dem Schreibtisch hat sich ohnehin zu viel aufgestapelt. Wolfgang, komm doch mal rüber, wir müssen den Asyl-Gipfel vorbereiten.
DRÜCKT SICH HÖCKE? Dass der thüringische AfD-Spitzenkandidat für genau einen Tag — ausgerechnet zur gestrigen letzten TV-Debatte vor der Wahl — absagen musste, aber heute zum Sommerfest in Nordhausen wieder fit sein soll, ist auffallend.
Zumal er schon am Montag versucht hatte, die Debatte abzusagen (damals noch aus „privaten Gründen“), wie Pauline von Pezold berichtet.
Eine triftige Erklärung konnte die AfD nicht vorlegen: „Ich habe jetzt auch nur erfahren, dass er heute Nacht nicht schlafen konnte. Was genau der Grund war, weiß ich nicht“, so Co-Landessprecher Stefan Möller, der Höcke bei der Wahldebatte vertrat.
Bei vorherigen TV-Debatten hatte Höcke nicht mit Schlagfertigkeit geglänzt und wurde mit seinen Aussagen häufiger durch Faktenchecks oder Aussagen der Kontrahenten widerlegt.
AMPEL AN DER GRENZE: In Thüringen liegen Grüne und FDP in Umfragen unter der Fünfprozenthürde, in Sachsen liegen immerhin SPD und Grüne über der Hürde. Heute will Robert Habeck in Jena, Erfurt und Weimar Wähler mobilisieren; Christian Lindner ist in Sachsen in Taucha und Leipzig unterwegs. Scholz kommt morgen nach Chemnitz.
SCHUTZ FÜR KOMMUNALPOLITIKER: „Bedrohungen und Übergriffe“ gegen politisch engagierte Menschen haben „ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen“, schreibt Nancy Faeser an den Bundestag. Die demokratischen Strukturen würden geschwächt, wenn „erkennbar“ weniger Menschen bereit seien, kommunale Ämter zu übernehmen.
Deswegen gibt es nun eine Schutz-Stelle, die Betroffene beraten und auch zu einer besseren Aufklärung durch Sicherheitsbehörden beitragen soll.
MISSBRAUCH DER FINANZPOLIZEI? Dass Autokraten die zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung gegründete Financial Action Task Force zur Verfolgung Oppositioneller missbrauchen könnten, „wird mit Sorge betrachtet“, schreibt Finanz-Staatssekretär Florian Toncar auf Anfrage von Jürgen Hardt. Der Bund gehe dagegen vor.
AUßENMINISTER-SONDERTREFFEN: Eigentlich hätten die 27 EU-Außenminister heute in Budapest zum informellen Treffen unter der ungarischen Ratspräsidentschaft zusammenkommen sollen. Doch dann startete Viktor Orbán seine unabgesprochenen Solo-„Friedensmissionen“ nach Moskau und Peking, und die EU schaltete auf Boykott.
Stattdessen trifft man sich heute in Brüssel: Vielen ist das ganz recht. Es gibt viel zu besprechen, da hätte Orbáns Selbstprofilierung nur gestört.
Das Hauptthema ist die Ukraine: Außenminister Dmytro Kuleba ist in Brüssel mit dabei. Er will darauf drängen, „dass die Beschränkungen für Langstreckenangriffe auf alle legitimen militärischen Ziele in Russland endlich aufgehoben werden“, wie er meiner Kollegin Suzanne Lynch vorab sagt.
Zwar betrifft das vor allem die USA, wo parallel Gespräche mit der Ukraine laufen. Großbritannien wäre bereit, wartet aber noch auf Washington, berichtet die FT.
Und die EU? „Sie kann und sollte eine Rolle spielen, um die Vereinigten Staaten zu überzeugen, diese Entscheidung zu treffen“, so Kuleba. Außerdem müsste Frankreich für seine SCALP-Marschflugkörper zustimmen, und, achja, Deutschland könnte ja immer noch die Taurus liefern. *Augenrollen bei Scholz, Seufzen bei Annalena Baerbock*
Moment der Entscheidung für Polen: Kuleba will auch darum bitten, dass Luftabwehrsysteme in der EU, vor allem an der polnischen Ostgrenze, ebenfalls Teile des ukrainischen Luftraums beschützen. „Man tritt nicht in den Krieg ein, indem man eine Rakete oder Drohne abschießt, die in die eigene Richtung fliegt.“
Weiteres Thema: Zum Mittagessen kommt der türkische Außenminister Hakan Fidan. Ziel: Das langjährige (vor allem deutsche) Bestreben zu diskutieren, die festgefahrenen bilateralen Beziehungen, vor allem im Handelsbereich, zu verbessern.
Israel-Sanktionen: Am Nachmittag geht es um die katastrophale Lage im Nahen Osten; es kommt die UN-Gaza-Beauftragte Sigrid Kaag. In der Nacht wurde bekannt, dass EU-Chefdiplomat Josep Borrell einen konkreten Vorschlag für Sanktionen gegen rechtsextreme israelische Politiker – u.a. Finanzminister Bezalel Smotrich und Polizeiminister Itamar Ben-Gvir – vorgelegt hat.
Venezuela-Krise: Außerdem geht es um den offensichtlichen Wahlbetrug in dem südamerikanischen Land, wo Autokrat Nicolás Maduro gewaltsam gegen Proteste vorgeht. Die EU hat dazu aufgerufen, die Wahlergebnisse zu überprüfen, ohne jedoch Maduros Rivalen Edmundo González als Sieger anzuerkennen, wie es die USA getan haben.
TICK-TACK, TICK-TACK: Morgen läuft die Frist für die EU-Länder ab, ihre Kandidaten für die Kommission zu nominieren. Italien, Belgien und Bulgarien lassen noch auf sich warten.
Gestern wurden zwei Sozialdemokraten nominiert — der dänische Entwicklungsminister Dan Jørgensen (könnte auf das Energie- und Klima-Ressort abzielen) sowie die ehemalige portugiesische Finanzministerin Maria Luís Albuquerque (will wahrscheinlich das Finanzressort).
Eine Liste mit den 24 bisher bekannten Nominierungen finden Sie hier.
DEUTSCH-BRITISCHER RESET: Großbritannien und Deutschland haben gestern in einer gemeinsamen Erklärung eine umfassende Neuordnung ihrer Beziehungen angekündigt. Die Details lesen Sie in der aktuellen Ausgabe unseres Europa-Briefings Brussels Decoded, das Sie hier lesen und hier kostenlos zur Probe abonnieren können.
ANKLAGE GEGEN TELEGRAM-CHEF ERHOBEN: Die französischen Behörden haben gestern Pavel Durov in sechs Punkten wegen illegaler Aktivitäten in der Messenger-App angeklagt, berichten meine Pariser Kollegen.
Gegen eine Kaution von 5 Millionen Euro wurde Durov aus der Untersuchungshaft entlassen. Er darf Frankreich nicht verlassen und muss sich zweimal pro Woche auf einer Polizeistation melden.
SWING STATE: Kamala Harris ist heute für ihren ersten Wahlkampf-Termin nach dem Parteitag in Georgia. Biden hat die Wahl dort 2020 mit einem hauchdünnen Vorsprung gewonnen — trotzdem wurde der Swing State in der Endphase des demokratischen Wahlkampfs lange ignoriert, berichtet meine US-Kollegin Myah Ward.
TRUMP DROHT ZUCKERBERG: In einem Buch, das nächste Woche erscheint, behauptet Donald Trump, Mark Zuckerberg habe 2020 gegen ihn intrigiert und werde „den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen“, sollte er es wieder tun, wie mein Kollege Alex Isenstadt schreibt.
How low can you go: Trump lotet zudem weiter die Abgründe des schlechten Geschmacks aus. Auf Truth Social insinuiert er, dass Kamala Harris es nur durch sexuelle Gefälligkeiten nach ganz oben geschafft habe. „Lustig, wie sich Blowjobs auf ihre beiden Karrieren unterschiedlich ausgewirkt haben…“, vergleicht er sie mit Bill Clinton.
**Mit DC Decoded einen Schritt voraus: Erfahren Sie, wie die US-Wahl Deutschland beeinflusst. DC Decoded – Das US Briefing erscheint werktäglich auf Deutsch und richtet sich an alle, die früher verstehen wollen, was die politische Agenda der USA bestimmt. Melden Sie sich jetzt an und erhalten Sie ab dem 3. September für vier Wochen eine kostenlose Testversion.**
— Paralympische Spiele: Die Paris-Reise von Frank-Walter Steinmeier endet heute.
— Unternehmensbesuch: Um 11 Uhr ist Bettina Stark-Watzinger in Alsfeld bei der Karl Kipping GmbH.
— Munitions-Altlasten im Meer: Um 12 Uhr spricht Steffi Lemke bei der Veranstaltung zum Problemthema.
— Außenpolitik: Die informelle Ministertagung findet heute in Brüssel statt.
— Staatssekretäre on Tour: Um 11 Uhr besucht Judith Pirscher (Forschung) das Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen, um 13 Uhr besucht Claudia Müller (Agrar) das Soziokulturelle Zentrum TELUX (Teil des Bundesprogramms Ländliche Entwicklung und Regionale Wertschöpfung) in Weißwasser.
— Jubiläum: Der Freiwilligendienst „Kulturweit“ feiert 15-jähriges Bestehen. Um 14:30 Uhr spricht Katja Keul, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, ein Grußwort.
WIE BEI DER 2RAUMWOHNUNG: Naja, nicht ganz 36 Grad, aber bis 34 Grad werden es heute in Berlin.
GRUSS AUS DER KÜCHE:
— Mitarbeiterrestaurant JKH: Indisches Rote Linsen-Dal mit Kokosmilch, Kartoffeln, dazu Blumenkohl und Fladenbrot oder mariniertes Schweinenacken-Steak in Pfeffersauce mit Erbsen und gebratenen Spätzle
— Lampenladen PLH: Falafelbällchen auf Couscous mit Friseé, Möhre, Gurke, Mais, Mandeln und Hummus oder Kohlroulade an Schmorkohl-Speck-Sauce mit Salzkartoffeln und Bohnensalat
— Kantine RTG: Caesar Salad, entweder mit Hühnchen oder mit Falafel, beides mit Kartoffel, Parmesan, Kirschtomate und Baguette
GEBURTSTAGE: Ye-One Rhie, SPD-MdB (37), Doris Ahnen, Finanzministerin in Rheinland-Pfalz (60), Robert Dölger, Botschafter in Marokko (64)
Julius Brinkmann, Rixa Fürsen, Laura Hülsemann, Jürgen Klöckner, Pauline von Pezold, Gordon Repinski und Peter Wilke. Produktion: Dean Southwell.
Das war die 130. Ausgabe des Berlin Playbook! Schicken Sie mir Feedback hier. Wenn Sie es noch nicht abonniert haben, können Sie das hier kostenlos tun.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Donnerstag. Bis morgen!
Herzlich
Ihr Hans von der Burchard
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